Hotel Cartagena by Buchholz Simone

Hotel Cartagena by Buchholz Simone

Autor:Buchholz, Simone [Buchholz, Simone]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2019-08-15T22:00:00+00:00


Curaçao, im Winter 2001

Wie lange Henk im Wasser getrieben war, hätte er nicht sagen können.

Ein paar Stunden.

Ein paar Tage.

Nur so viel: Die Haie waren nicht gekommen, sie hatten ihn in Ruhe gelassen.

Dafür hatte Emeric ihn gefunden, auf der Höhe seiner Tauchstation in Westpunt. Die Strömung hatte Henk einfach nordwärts und dann wieder an die Küste getragen.

Emeric war vor dreißig Jahren nach Curaçao geflohen.

Er war in St. Nazaire an der französischen Atlantikküste aufgewachsen und hatte dort als Fischer gearbeitet, so wie sein Vater und sein Großvater und vermutlich alle anderen Männer seiner Familie vor ihm auch schon. Er hatte tagein, tagaus am Strand in einer Holzhütte auf Stelzen gesessen und Netze ausgeworfen, Netze eingeholt, Netze geflickt.

Bis zu jenem Tag, als sein fünfjähriger Sohn ein paar hundert Meter weiter südwärts von dieser Welle erwischt und gegen die Felsen geschleudert worden war.

Emeric hatte am Strand gesessen und geraucht, es war so schnell gegangen, er hatte die Zigarette noch in der Hand, als sein Sohn plötzlich dalag.

Der Tod seines Sohnes war wie ein plötzlicher Überfall gewesen, als wäre jemand mit einem Maschinengewehr gekommen und hätte ihn durchlöchert.

Seine Frau hatte ihn nur ein paar Tage später verlassen, und Emeric hatte vergessen, wer er sein wollte.

Also war er auf ein Containerschiff gestiegen und weggefahren, er war irgendwo in der Karibik an Land gegangen und dann, wie so viele, auf Curaçao gelandet. Inzwischen war er sechzig und ahnte noch nichts von dem Fleck auf seiner Bauchspeicheldrüse, der in seinem Körper einen Krieg vorbereitete.

Die Tauchstation am nördlichen Ende der Insel lief gut, jedes Jahr kamen immer mehr Touristen mit immer mehr Geld und buchten sich bei ihm ein, und er war gerade so zufrieden wie ein Mann sein kann, der sein Kind verloren hatte: Es ging irgendwie.

Zumindest stand er jeden Tag auf, um zu tauchen.

Als er Henk im Meer treiben sah, sah er einen nicht mehr ganz jungen Mann, der ungefähr in dem Alter war, in dem sein Sohn jetzt gewesen wäre.

Er hätte ihn so oder so rausgezogen, aber in diesem Fall hatte er das Gefühl, nochmal eine letzte Aufgabe aus dem Wasser zu holen.

Henk war nicht bewusstlos, nur in einer Art Zombiemodus. Er sah Emeric an, als sie beide keuchend am Strand lagen, und Emeric, der in Henks Augen lesen konnte, dass das Wasser kein Unfall gewesen war, dachte: Na, das wollen wir erstmal sehen, von wegen sterben und so.

Er brachte ihn zu seinem Haus, trocknete ihn ab, gab ihm zu trinken und zu essen und zu arbeiten.

Es dauerte zwölf Monate, bis Henk nicht mehr rund um die Uhr suizidal war. In diesem ersten Jahr bei Emeric dachte er in einer Tour ans Sterben, hatte aber einfach nicht die Kraft, es zu tun. Am Leben zu sein wäre trotzdem etwas anderes gewesen, am Leben zu sein hätte bedeutet, die Sonne auf der Haut zu spüren, den warmen Wind, den Sand unter den Füßen. Am Leben zu sein hätte bedeutet, Hunger zu haben und Durst, im Schlaf ein anderer zu sein als in wachem Zustand. Doch Henk war



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